Familiäre Unvereinbarkeiten in der luxemburgischen Abgeordnetenkammer und in ausländischen Parlamenten

Cellule Scientifique
Publié le 30.04.2025 à 18h30 Mis à jour le 02.05.2025 à 11h29

Im Rahmen der Diskussionen über eine Reform des Wahlgesetzes wurde der wissenschaftliche Dienst mit einer Recherche zu familiären Unvereinbarkeiten für Abgeordnete beauftragt.

Zusammenfassung

  • Der Artikel 131 des Wahlgesetzes behandelt die Unvereinbarkeit bezüglich der Verwandtschaft und des Ehebündnisses.
  • Dieser Artikel besagt, „dass die Mitglieder der Abgeordnetenkammer weder miteinander verheiratet sein noch in einem Verwandtschaftsverhältnis bis zum zweiten Grad miteinander stehen dürfen; wenn sie beide gewählt werden, wird per Los bestimmt, wer zum gewählten Kandidaten ernannt wird [Auszug frei übersetzt].“
  • Ziel dieser wissenschaftlichen Abhandlung ist es, die Bedeutung des Artikels 131 des Wahlgesetztes sowie dessen textuelle Entwicklungen und Begründungen zu erforschen. Weiterhin gilt es, zu ermitteln, ob in anderen, ausländischen Parlamenten ähnliche Bestimmungen gelten.
  • In Luxemburg können Eheleute sowie Verwandte bis einschließlich des zweiten Grades nicht gleichzeitig ein Abgeordnetenmandat ausüben
  • Das Einhalten dieses Verbots wird mittels einer Erklärung zu den Unvereinbarkeiten in Hinblick auf Verwandtschaft und Ehe gewährleistet, welche die Abgeordneten bei Antritt ihrer Funktion ausfüllen.
  • Entsprechend den Ausführungen der ebengenannten Erklärung gehören zur Ehe oder zum Verwandtschaftsverhältnis bis einschließlich des zweiten Grades der Vater und dessen Sohn, der Bruder und dessen Schwester, aber ebenso der Schwiegervater und dessen Schwiegersohn, um nur einige Beispiele zu nennen.
  • Die Ehe oder Verwandtschaft bis einschließlich des zweiten Grades schließen ebenfalls einen neuen Ehepartner oder eine neue Ehepartnerin und die Kinder aus einer vorherigen Partnerschaft des jeweils anderen Ehepartners mit ein. Dieses Verhältnis zwischen Stiefeltern und deren Stiefsöhnen und -töchtern wurde bis dato nicht als Anwendungsfall des Artikels 131 des Wahlgesetzes aufgeführt. Es wäre angemessen, dieses als eine weitere unvereinbare familiäre Beziehung in der Erklärung zu den Unvereinbarkeiten hinsichtlich der Ehe und Verwandtschaft mit aufzunehmen.
  • Die für luxemburgische Abgeordnete geltenden familiären Unvereinbarkeiten sind kein neues Phänomen: Sie gehen auf die erste Verfassung von 1841 zurück, welche es Vater und Sohn sowie Vater und Schwiegersohn verbot, gemeinsam im Parlament zu tagen. Der diese familiären Unvereinbarkeiten festlegende Text hat seit 1841 drei größere Veränderungen erfahren. Die erste davon fand 1879 statt, als die Brüder hinzugefügt wurden. Die zweite nennenswerte Veränderung wurde 1919 vorgenommen, als insbesondere die Frauen hinzugefügt wurden, für die fortan die gleichen familiären Unvereinbarkeiten galten wie für ihre männlichen Amtskollegen. Schließlich wurde 1924 der Wortlaut des ersten Satzes zurückbehalten (bis zum Semikolon), insbesondere die Erwähnung der Ehe und Verwandtschaft bis einschließlich zweiten Grades, wie er uns heute bekannt ist.
  • Die Analyse der parlamentarischen Vorbereitungsarbeiten und Protokolle des 19. Jahrhunderts zeigt erwartungsgemäß auf, dass die familiären Unvereinbarkeiten darauf abzielen, zu verhindern, dass eine einzelne Familie zu viel Einfluss auf ein Parlament mit beschränkter Anzahl an Abgeordneten gewinnen kann.
  • Etwas überraschender ist vielleicht das Ergebnis der vergleichenden Analyse, die zeigt, dass Luxemburg einen Ausnahmefall unter den parlamentarischen Systemen darstellt, die in den Vergleich mit einbezogen wurden: Luxemburg ist in der Tat mit San Marino (mit 60 Parlamentariern bei einer Einwohnerzahl von 30.000) das einzige unter 42 untersuchten Ländern, das familiäre Unvereinbarkeiten für seine nationalen Parlamentarier eingeführt hat.
  • Neben San Marino ist die Schweiz ein weiteres interessantes Beispiel, das in diesem Zusammenhang angeführt werden kann: Auch wenn für die nationalen Parlamentarier der Schweiz keine familiären Unvereinbarkeiten gelten, gibt es solche Einschränkungen auf der anderen Seite beim Bundesrat, der aus sieben Mitgliedern besteht. Darüber hinaus gelten auch für die Parlamentarier von zwei der 26 schweizerischen Kantonsparlamente familiäre Unvereinbarkeitsregeln. Es handelt sich um die Abgeordneten der Kantone Obwalden (55 Mitglieder bei 38.000 Einwohnern) und Tessin (90 Mitglieder bei 350.000 Einwohnern). 
  • Interessant an den Beispielen von San Marino und der Schweiz ist, dass die geltenden familiären Unvereinbarkeitsregeln sich nicht nur auf Eheleute und offiziell eingetragene Partnerschaften beziehen, sondern auch auf nicht eingetragene Lebenspartnerschaften (innerhalb einer De-facto-Beziehung). Abgesehen von den nicht eingetragenen Lebenspartnerschaften ist der Anwendungsbereich der familiären Unvereinbarkeiten in San Marino sehr beschränkt, da sie nur für Verwandtschaftsbeziehungen in direkter Linie ersten Grades gelten (also ausschließlich für die Beziehungen Vater/Sohn, Vater/Tochter, Mutter/Sohn sowie Mutter/Tochter). Umgekehrt reicht der Anwendungsbereich der familiären Unvereinbarkeiten in der Schweiz sehr weit und schließt insbesondere auch Onkel und Nichten sowie Cousins ein.
  • Im Gegensatz zu den oben genannten ausländischen Beispielen werden in den Parlamenten von Monaco, Liechtenstein, Andorra, Zypern, Island und Malta keine familiären Unvereinbarkeitsregeln appliziert, obschon deren demografische Größe und parlamentarische Vertretung gleich derjenigen oder geringer als diejenigen Luxemburgs sind.
  • Letztlich ist noch anzumerken, dass familiäre Unvereinbarkeiten im Ausland vereinzelt für Kritik sorgen. Einige wenige Autoren nennen Gegenargumente wie beispielsweise, dass De-facto-Beziehungen nicht mit einbezogen werden (Kritik an der belgischen Doktrin) oder auch die Kinder aus zwei vorherigen Partnerschaften, die in einer Patchworkfamilie leben (Kritik an der schweizerischen Doktrin).
Artikel 131 des Wahlgesetzes